Am 2. Tag unseres Astronomiekurses stand die freiäugige Beobachtung des Sternehimmels im Vordergrund. Wenn wir im Dunkeln stehen und in den Sternenhimmel schauen, wird in unseren Augen ein komplexer Mechanismus eingesetzt, der uns befähigt, sehr viel lichtempfindlicher zu sehen als bei Tage. Dieses Verhalten liegt in unseren Genen; es ist uns von unseren Ahnen in die Wiege gelegt worden. Doch in der heutigen Zeit des (Licht-)überflusses machen wir leider kaum noch Gebrauch von diesem geheimnisvollen Seh-Modus…
Das Auge – ein Hochleistungsorgan
Unsere Augen sind ein Meisterstück der Evolution. Sie sind extrem wandlungsfähig und können sich den verschiedensten Lichtverhältnissen perfekt anpassen. Bei Dunkelheit war es vor Urzeiten überlebenswichtig, aus dem wenigen Licht das Beste herauszuholen, um entweder seine Beute zu erkennen oder selbst nicht gefressen zu werden!
Aber ist es nicht nur die Pupille unserer Augen, die sich bei Dunkelheit weitet. Auch die Netzhaut ist in der Lage, auf geänderte Lichtverhältnisse effektiv zu reagieren.
Die Linse in unserem Auge wirft ihr Abbild eines Gegenstandes, welchen wir betrachten, auf eine besondere Leinwand – die Netzhaut. Sie besteht aus unterschiedlichen Gruppen von Sinneszellen, die auf Lichtreize reagieren und diese in elektrochemische Signale für die „Datenverarbeitung“ in unserem Gehirn umsetzen.
Beim normalen ‚Tagessehen‘, also bei normal hellen Lichtverhältnissen, sind hauptsächlich Netzhautzellen aktiv, die Farbinformationen verarbeiten und diese an unser Gehirn weiterleiten. Diese Zellen werden Zäpfchen genannt. Von dieser Sorte existieren drei Typen, die jeweils für das rote, grüne und blaue Licht zuständig sind. Sie sind insbesondere in der Sehgrube unseres Auges konzentriert, welche direkt der Linse gegenüberliegt. Wir haben also die beste Farbinformation von einem hellen Objekt, wenn wir direkt draufschauen.
Die Zäpfchen-Zellen sind jedoch nur bei normalen Lichtverhältnissen aktiv. Ist es zu dunkel, stellen sie ihre Funktion mehr oder weniger komplett ein. An ihre Stelle treten nun die sogenannten Stäbchenzellen. Diese können zwar keine unterschiedlichen Farbinformationen verarbeiten, reagieren allerdings sehr viel stärker auf Helligkeitsunterschiede.
Ein besonderer Sehmodus
Das Umschalten des Auges vom Tagsehen in das Nachtsehen geschieht jedoch nicht augenblicklich, sondern über einen längeren Zeitraum, der durchaus 30 Minuten beanspruchen kann. Erst nach dieser Zeit erreichen die Stäbchenzellen in unserer Netzhaut ihre maximale Wirkung; wir können nun bis zu einer Million mal lichtempfindlicher sehen als bei normalem Tageslicht!
Doch ein Problem bleibt: Die Stäbchenzellen, denen wir diese grandiose Eigenschaft zu verdanken haben, sind im Sehzentrum unserer Netzhaut, der Sehgrube, nur spärlich vorhanden. Erst außerhalb dieses Bereiches wächst ihre Anzahl stark an. Was also tun, um dieses Potential zu nutzen, wenn wir ganz schwach leuchtende Objekte, etwa die berühmte Andromeda-Galaxie, am Sternenhimmel erkennen möchten?
Der Trick besteht nun darin, nicht unmittelbar auf das Objekt unserer Begierde zu schauen, sondern knapp daneben. Nun fällt das Licht dieses Objektes nicht direkt in die Sehgrube, sondern außerhalb – und hier lauern besonders viele unsere Stäbchenzellen, mir deren Hilfe wir jetzt z.B. die Andromeda-Galaxie mit bloßem Auge plötzlich erkennen können! Sie ist mit ca. 2.5 Millionen Lichtjahre übrigens das entfernteste Objekt am Nachthimmel, welches freiäugig beobachtbar ist – vorausgesetzt wir befinden uns ein einem dunklen Ort ausserhalb der Lichtverschmutzung unserer Städte.
Graue Katzen
In der Nacht sind alle Katzen grau. Dieser Spruch stimmt, denn durch den ‚Verlust‘ unserer farbgebenden Zäpfchenzellen bei Dunkelheit können wir mit unseren Stäbchenzellen nur Grautöne wahrnehmen. Dieser Sehmodus wird auch ‚Stäbchensehen‘ genannt. Auch wenn wir in ein Teleskop blicken, sehen wir die astronomischen Objekte quasi ausschließlich in Grautönen. Wir sollten uns also von den farbigen Aufdrucken aus der Teleskopwerbung nicht in die Irre führen lassen, wenn wir (mit oder ohne optische Geräte) in den Sternenhimmel schauen!
Es geht ganz schnell…
Haben wir erst einmal diesen besonderen Dunkel-Sehmodus erreicht, wollen wir ihn natürlich nicht wieder hergeben. Doch leider kann das ganz schnell passieren: Sobald jemand mit hellem Licht (z.B. aus einer Taschenlampe) uns ins Gesicht leuchtet, schalten unsere Augen sofort wieder in den Tagesmodus um!
Doch manchmal benötigen wir etwas zusätzliches Licht, wenn wir z.B. in der Dunkeheit etwas suchen müssen (grundsätzlich befinden sich die Okulare nicht da, wo man sie zuletzt abgelegt hat :). Hier gibt es nun einen Trick, um den Dunkelmodus unserer Augen nicht zu verlieren: Man verwende für die Taschenlampe rotes Licht zum Ausleuchten; etwa mit einer vorgespannten roten, lichtdurchlässigen Folie (oder eine LED-Lampe roten LEDs).
Schwaches, rotes Licht beeinflusst unser an die Dunkelheit angepasstes Auge glücklicherweise kaum. Wenn man also Licht benötigt dann bitte niemals weißes. Die Astro-Kollegen werden es Euch danken!