Am fünten Kurstag gab es von allem etwas: Den Sternenhimmel beobachten, ein neues Teleskop bestaunen und schwere astronomische Kost verdauen.
Doch der Reihe nach: Zunächst kamen am Abend die Sterne hervor. Damit hatte eigentlich niemand gerechnet, da es fast den ganzen Tag bis kurz vor Kursbeginn geregnet hatte. Daher blickten wir zu Beginn der Kursstunde noch gen Himmel. Unsere mitgebrachten schnellen Teleskope leisteten uns dabei gute Dienste:
Zum einen war unser 70/700 Celestron Refraktor auf seiner einfachen azimutalen Montierung flugs einsatzbereit; zum anderen hatte heute Tim seinen Dobson dabei, den er ebenso schnell aufgebaut hatte, so dass man vom Schuleingang noch einen Blick in den Sternenhimmel werfen konnte. Insbesondere die sichelförmige Venus lieferte in seinem Dobson eine atemberaubende Show ab. Hinzu kam der ebenfalls sichelförmige Mond mit seinem aschgrauen Mondlicht. Und knapp oberhalb des Mondes war Planet Mars kurz nach der Abenddämmerung noch deutlich zu erkennen. Eine beeindruckende Dreierkonstellation.
Tims Dobson-Teleskop
Unsere Tischanordnung im Klassenraum wurde nun zu einem U umgestaltet; in der freien Mitte wurden unsere beiden Parallaktischen Teleskope (ein Refraktor und ein Newton-Reflektor) aufgestellt. Hinzu kam noch Tims Dobson mit einer Öffnung von 150mm. Er hatte zuerst das Wort und machte unsere Teilnehmer mit der Benutzung seines Dobsons bekannt: Ein tolles Gerät für den perfekten Einstieg in die visuelle beobachtende Astronomie! Da es in einer schwenkbaren Box steht und beliebig geneigt werden kann, benötigt es keine besondere Montierung. Es bietet die maximal mögliche Öffnung (also Lichtstärke) für minimalen monetären Aufwand.
Skalen über Skalen
Danach wurde es kompliziert. Denn ich stellte noch einige spezielle Teile der parallaktischen Montierung vor: Die Skalen, welche an der Deklinations- und Polachse angebracht sind. Wozu braucht man sie? Für das tiefere Verständnis benötigt man zunächst die sogenannten Himmelskoordinaten. Um diese zu erklären, gingen wir von den geographischen Koordinaten auf der Erdoberfläche aus: Von geographischer Breite und geographischer Länge. Die entsprechenden Himmelskoordinaten auf der die Erde umgebenden scheinbaren Himmelskugel heissen dann: Deklination und Rektazension. Mit diesen beiden Koordinaten sind alle Sterne und sonstigen Himmelsobjekte in den Astronomiekatalogen aufgelistet.
Deklination und Rektazension
Während die Deklination den Abstand eines Sterns von dem Himmelsäquator in Grad (-90,…,0,…+90) angibt, beschreibt die Rektazension den Abstand vom Widder- oder Frühlingspunkt. Er beschreibt eine feste kosmische Raumrichtung zu den Sternen, in der die Sonne ausschließlich nur zur Tag- und Nachtgleiche im Frühling steht. Sie heisst aus historischen Gründen Widderpunkt, obwohl diese kosmische Raumrichtung heute in das vom Widder benachbarte Sternbild Fische weist (Grund dafür ist die Präzession der Erdrotationsachse in einem etwa 25800 Jahre dauernden Zyklus, die diesen Punkt jedes Jahrrausend weiter noch Westen durch die Tierkreissternbilder verschiebt).
Die Rektazension beschreibt dann den Winkel zwischen dieser kosmischen Raumrichtung und der Richtung des Sterns. Dieser Winkel wird jedoch nicht in Grad sondern in Stunden (0…24) angegeben. Das bedeutet, dass alle Sterne mit einer Rektazension von Null auf einer Linie liegen, die vom Himmelspol zu Himmelspol verläuft und gleichzeitig durch den Frühlingspunkt geht. Diese ‚Null‘-Sterne kulminieren genau dann zu Mitternacht, wenn die Erde diese Richtung ein halbes Jahr später auf ihrem Weg um die Sonne durchkreuzt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von 0 Uhr Sternzeit. Ganz allgemein besagt die Rekatzensionskoordinate eines Sterns zu welcher Sternzeit ein Stern im Süden kulminiert (für Beobachter auf der Nordhalbkugel). Könnte man übrigens die Null-Uhr-Sternzeitlinie am Himmel sehen, verläuft sie vom Polstern knapp östlich von Stern Caph in der Kassiopeia, östlich von Alpheratz (Hauptstern der Andromeda als einer der Sterne des Pegasus-Quadrats) und ziemlich genau durch Stern ω Psc in den Fischen.
Die Ausrichtung auf einen Stern über seine Koordinaten
Die an den Achsen der parallaktischen Montierung angebrachten Skalen lassen offensichtlich eine Einstellung auf ein beliebiges astronomsiches Objekt zu, das man zu einer bestimmten Uhrzeit beobachten möchte. Nachdem die parallaktische Montierung korrekt aufgestellt und eingenordet wurde, kann nun auf der Deklinationsachse zunächst das Rohr so geneigt werden, dass die Deklinationskoordinate des Zielobjektes aus dem Sternenkatalog mit dem auf der Deklinationsskala der Montierung übereinstimmt. Das ist noch ziemlich einfach.
Die Einstellung der Rektazension ist komplizierter. Zunächst fällt auf, dass diese Skala verstellbar ist.
Stundenachse einstellen Variante 1 – Mit Sternzeit
Bei Wert Null auf der Stundenskala zeigt das Teleskop nach Süden, das ist der Fall, wenn die Gegengewichtsstange exakt waagerecht ist. Wir wir wissen, kulminieren in dieser Richtung die Sterne; erreichen also immer dort ihre höchste Himmelsposition einmal in etwa 24 Stunden (für einen Beobachter der nördlichen Hemispähre). Das sind genau die Sterne, bei denen ihre Rektazension und die momentane Sternzeit des Beobachters übereinstimmt. Die aktuelle Sternzeit kann man sich z.B. mit Hilfe eines Astronomieprogramms anzeigen lassen; auch unsere Albireo-Software leistet das. Wert ‚Null‘ an unserer Stundenskala bedeutet also Differenz ‚Null‘ zwischen Sternzeit und Rektazension des Sterns. Ist der Stern zwar am Himmel sichtbar, jedoch noch östlich oder bereits westlich der Südrichtung (des Meridians), so dreht man das Teleskop an der Polachse (auch Stundenachse genannt), bis die Differenz aus momentaner Sternzeit und Rektazension des Sterns an der Skala angezeigt wird. Damit weist das Teleskop in die momentane Richtung des Sterns. Geschafft! Dieses Verfahren lässt sich auch am Taghimmel z.B. bei der Venusbeobachtung durchführen oder bereits Stunden bevor der Stern diese Position erreicht.
Stundenachse einstellen Variante 2 – mit Bezugsstern
Die zweite Variante, die von Norbert vorgeschlagen wurde, wird keine Sternzeit benötigt; jedoch die Himmelskoordinaten eines Bezugssterns. Hier richtet man bei der eingenordeten Montierung zunächst das Teleskop auf den Bezugsstern aus, und zentriert diesen im Okular. An der Stundenskala stellt man nun an der Markierung den Rektazensionswert durch Drehen der Skala (nicht des Teleskops) ein. Anschließend dreht man das Teleskop über die Deklinationsachse auf die Deklinationskoordinate des zu suchenden Objekts ein. Danach dreht man das Teleskop an der Polachse, bis der Rektazensionswert des zu beobachtenden Sterns an der Stundenmarkierung angezeigt wird. Bei dieser Variante muss man sich allerdings beeilen, das zu suchende Objekt einzustellen, da es ja in dieser Zeit nach Westen weiterwandert. Daher sollte man im Anschluss das Objekt westwärts finden.
GoTo’s – Intelligent motorisiert
Das Aufsuchen von Objekten wird also bei parallaktischen Montierungen mit Hilfe der Deklinations- und Stundenskala möglich. Das kann man manuell erledigen; aber es gibt auf dem Markt auch computergestützte, motorisch betriebene Montierungen, bei denen man auf einem Display das Objekt einfach eintippen kann. Das Teleskop fährt dann automatisch dorthin. Diese Art von intelligenten Montierungen nennt man GoTos. Sie sind in der Beschaffung aber teurer als manuell bedienbare Geräte.
Die oben beschriebenen Verfahren funktionieren umso besser, je genauer die Polachse (oder auch Stundenachse genannt) der parallaktischen Montierung auf den Himmelspol in unmittelbarer Nähe des Nordsterns weist.
Und wem das Ausrichten des Teleskops auf einem Stern mit diesen Methoden zu kompliziert (oder zu akademisch) ist, der kann immer noch zum altbewährten Starhopping greifen!